Sommerfrische einst: Ein Privileg für wenige
Die Tradition der Sommerfrische entstand im 18. Jahrhundert als exklusives Vergnügen für Adel und wohlhabendes Bürgertum. Wer es sich leisten konnte, floh während der heißen Sommermonate aus der Stadt aufs Land – dorthin, wo Wald, Wasser und frische Luft Abkühlung versprachen. Es war eine regelrechte Übersiedlung: Der gesamte Hausstand, Bedienstete und umfangreiche Ausstattung wurden mitgebracht, um auch in der ländlichen Umgebung gewohnten Komfort zu gewährleisten.
Durch den massiven Ausbau der Eisenbahnverbindungen ab der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die Sommerfrische allmählich einem breiteren bürgerlichen Publikum zugänglich. Im Thayaland entstanden durch die Zweigstrecken zur Franz-Josefs-Bahn, zur Nordwestbahn und der Verbindung aus Iglau/Jihlava neue Knotenpunkte. Orte wie Drosendorf, Raabs und Hardegg entwickelten sich ab dem Jahr 1900 zu beliebten Sommerfrischler-Destinationen. Der Österreichische Touristen-Club lenkte mit seiner 1890 erschienenen Broschüre erstmals gezielt Aufmerksamkeit auf das Thayatal. Da viele Gemeinden davon profitierten, kann es als ein frühes Beispiel für sanften Tourismus gesehen werden.
Frauen als stille Heldinnen der Sommerfrische
Trotz aller Vorzüge der Sommerfrische bedeutete der ländliche Aufenthalt für Frauen nicht unbedingt weniger Arbeit – im Gegenteil: Sie organisierten den Umzug, kümmerten sich um soziale Kontakte und waren verantwortlich für das Hauspersonal. Während die männlichen Familienoberhäupter nur an Wochenenden anreisten, trugen die Frauen das Familienleben über Wochen oder Monate hinweg allein.
Gleichzeitig bot die Sommerfrische für viele Frauen aber auch ungewohnte Freiräume. In der ländlichen Umgebung konnten sie städtischen Zwängen entkommen, neue Kontakte knüpfen, lesen, wandern – und in einigen Fällen sogar künstlerisch tätig sein. Dennoch blieb die Sommerfrische weitgehend im Rahmen traditioneller Rollenbilder: Die Frau blieb für das Private zuständig, während der Mann wirtschaftlich und öffentlich wirkte.
Künstlerinnen im Thayaland: Ein weiblicher Blick auf das Land
Einige Frauen nutzten diese Sommermonate auch zur künstlerischen Produktion. Malerinnen wie Hermine von Janda, Maria Theresia Hüttmair, Lilly Charlemont oder Grete Reinhart-Pamer hielten in Gemälden und Holzschnitten das Leben und die Landschaft im Thayaland fest. Ihre Werke dokumentieren keine bloße Naturidylle, sondern zeigen einen differenzierten Blick auf bäuerliches Arbeiten, Lichtstimmungen, Architektur – und auf die Übergänge zwischen Kultur und Natur.
Begegnung zweier Welten: Sommergäste und Einheimische
Die Ankunft der Sommerfrischler:innen bedeutete für die einheimische Bevölkerung Veränderung – nicht nur wirtschaftlich, sondern auch kulturell. Viele Menschen vor Ort sahen die Landschaft weniger als Erholungsraum, sondern vor allem als Arbeitsraum: Wiesen wurden gemäht, Wälder bewirtschaftet, Flüsse als Verkehrs- oder Fischgründe genutzt. Für sie war die Natur nicht Kulisse, sondern Lebensgrundlage.
Sommergäste hingegen sahen in der Landschaft eine „heile Welt“ – einen Rückzugsort, in dem sie zur Ruhe kommen konnten. Diese unterschiedlichen Blickwinkel führten zu Missverständnissen, aber auch zu Austausch. Frauen aus der Region fanden Anstellungen als Köchinnen, Wäscherinnen oder Kindermädchen; manche schlossen Bekanntschaften oder fanden über Kontakte der Gäste neue Möglichkeiten in der Stadt.
Der Einschnitt durch den Ersten Weltkrieg
Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs wandelte sich die Sommerfrische radikal. Orte wie Drosendorf, Raabs und Markl wurden zu Standorten von Interniertenlagern. Die k. u. k. Administration nutzte die Randlage des Thayatals und das gut ausgebaute Eisenbahnnetz zur Unterbringung sogenannter „Konfinierter“ – darunter viele Kulturschaffende, etwa der Bruder von James Joyce. Auch in dieser Zeit waren es oft Frauen, die das gesellschaftliche Leben in schwierigen Verhältnissen aufrechterhielten.
Die Renaissance der Sommerfrische heute
Nach Jahrzehnten des Vergessens erlebt die Sommerfrische in jüngerer Zeit ein Revival. In Zeiten von Hitzesommern, Stress und Digitalisierung wächst das Bedürfnis nach Rückzug, Natur und Entschleunigung. Viele entdecken das Thayaland neu – mit seinen sanften Flussläufen, weiten Feldern, verwunschenen Orten und kulturellen Spuren der Vergangenheit.
Doch auch heute bleiben die Perspektiven unterschiedlich: Wo Gäste Erholung und Ursprünglichkeit suchen, sehen Einheimische oft das Ergebnis harter Arbeit, Pflege und Veränderung. Zwischen zart und wild, Geschichte und Gegenwart, Erholung und Alltag eröffnet sich im Thayaland ein spannungsreiches Miteinander.
Quellen:
- Sommerfrische
- Wie verbrachte man in der Habsburgerzeit die Sommerfrische
- Alltagsgeschichten – Einstens auf Sommerfrische
- Die Renaissance der Sommerfrische
- Stadt-Land-Hass: Kulturschock Sommerfrische
- Mühlbacher Sommerfrische
- Wem gehört die Bergwiese
- Land Niederösterreich – Gesellschaft und Gemeinschaft