6-Sinne Radrunde

Entdeckerinnen-Radroute

 

Frauen & Handwerk

Im nördlichen Waldviertel wurde Handwerk über Jahrhunderte nicht nur überliefert, sondern von Frauen getragen und weiterentwickelt – oft unsichtbar, oft unterbezahlt, aber immer unverzichtbar. Von der Textilproduktion im 19. Jahrhundert über Heimarbeit in der Nachkriegszeit bis hin zu modernen Handwerksbetrieben zeigt sich: Handwerk ist weiblicher, als viele glauben – und war es schon immer.

Historisches Erbe: Frauen in der Textilproduktion

Schon im 19. Jahrhundert prägten Frauen das wirtschaftliche Leben im Waldviertel durch ihre Arbeit in der Textilproduktion – zu Hause oder in Fabriken. Sie nähten, webten, spannen – oft unter harten Bedingungen, mit geringem Lohn, aber enormem Können.
Berichte aus der Region sprechen von Orten, „wo die Zeit stillzustehen scheint“ – und Frauen dennoch mit Fleiß und Geschick das Rückgrat der lokalen Wirtschaft bildeten.

Heimarbeit: Zwischen Selbstständigkeit und Ausbeutung

Lange Zeit war Heimarbeit ein zentrales Arbeitsfeld für Frauen – besonders in ländlichen Räumen. Viele Frauen nähten oder fertigten Produkte von zu Hause aus – flexibel, aber ohne Absicherung. Arbeit und Familie wurden parallel gestemmt, oft ohne Anerkennung. Und doch trugen sie wesentlich zum wirtschaftlichen Überleben ganzer Haushalte bei.

Vom Heimarbeitszimmer zur Werkstatt: Frauen im Handwerk heute

Heute gestalten Frauen das Handwerk neu – selbstbestimmt, kreativ und mit unternehmerischem Mut. Ein Beispiel dafür ist der Betrieb „Waldviertler Tofu“ in Süßenbach, gegründet von einer Frau, die Handwerk und Lebensmittelproduktion miteinander verbindet. Ihr Betrieb stellt aus selbstkultivierten Sojabohnen hochwertigen Tofu her – nach alter Methode, aber mit modernem Anspruch. Ihre Arbeit zeigt: Handwerk kann gleichzeitig traditionell, innovativ und nachhaltig sein.

Auch die Initiative „Feminist Architects & Craftwomen“ aus Tiefenbach denkt das Handwerk neu – an der Schnittstelle zwischen Architektur, Design und Handwerkskunst. Natürliche Materialien, regionale Ressourcen, internationaler Wissensaustausch und Interdisziplinarität- verbunden mit einem ganzheitlichen Zugang zum Bauen, der über die reine Funktion hinausgeht, sind zentrale Anliegen. Ihre Arbeit steht für eine neue Ästhetik des Machens – klar, bewusst, weiblich.

Dass Handwerk heute vielfältiger ist denn je, zeigen auch klassische Gewerke: Der Betrieb Holzbau Zwickl in Raabs/Thaya wird von einer diplomierten Holzfachtechnikerin geleitet, die technische Kompetenz und moderne Führung vereint. Und auch im traditionsreichen Rauchfangkehrer-Handwerk ist Frauenpower längst angekommen: Siegrid Kasess aus Waidhofen sorgt als Rauchfangkehrermeisterin für Sicherheit und Qualität – in einem Berufsfeld, das heute offen für neue Wege und neue Gesichter ist.

Brotbacken – ein Handwerk mit Geschichte und Zukunft
Ein oft vergessenes Beispiel im Zusammenhang mit Handwerk ist das Brotbacken. Fast jedes Haus im Waldviertel hatte einst einen eigenen Brotbackofen, in dem regelmäßig gebacken wurde – meist von Frauen, für die Brotbacken ein fester Bestandteil des Alltags war.

Diese Tradition lebt auch heute weiter – etwa in der Bäckerei Kasses in Thaya. Dort übernahmen 2021 die beiden Schwestern Lena und Laura Kasses als vierte Generation die Geschäftsführung. Die beiden Bäckermeisterinnen führen den Betrieb mit Leidenschaft, Mut und neuen Ideen. Trotz neuer Ansätze bleiben die Grundwerte des Betriebs erhalten: viel Zeit, wenige gute Zutaten und echtes Handwerk.

Frauen in Handwerk und Technik – FiT-Zentrum Waldviertel

Das FiT-Zentrum Waldviertel bietet Frauen die Möglichkeit, technische und handwerkliche Berufe besser kennen zu lernen und eigene Interessen und Begabungen zu überprüfen. Es berät, qualifiziert und begleitet Frauen bei entsprechenden Aus- und Weiterbildungen (von Lehrabschluss bis FH-Studium).

In den letzten 15 Jahren haben viele Frauen durch das vom AMS Niederösterreich finanzierte Projekt ihren Weg in einen handwerklich-technischen Beruf gefunden.

Wissen bewahren – Handwerk zeigen

Im Lebenden Heimatmuseum Kautzen wird traditionelles Handwerk erlebbar gemacht – darunter viele Techniken, die von Frauen über Generationen weitergegeben wurden. Vom Webstuhl bis zur Nähmaschine über das Klöppeln bis zum Spinnen: Hier lebt ein kulturelles Erbe weiter, das mehr ist als Nostalgie – es ist gelebte Identität.

Handwerk ist mehr als Technik – es ist Haltung

Frauen denken Handwerk ganzheitlich. Sie verbinden Gestaltung mit Verantwortung, Regionalität mit Qualität und schaffen so neue Perspektiven für die Region. Im nördlichen Waldviertel steht das Handwerk der Frauen heute für mehr als nur Tradition: Es steht für Mut, Innovation und wirtschaftliche Selbstbestimmung.

 

Quellen:

Station 3

Heimatmuseum Kautzen